Nur noch Ältere Frankenhäuser Bürger werden sich noch daran erinnern, dass die letzte auf dem Oberkirchturm verbliebene Glocke Bestattungen feierlich begleitet sowie das neue Jahr weithin eingeläutet hat. Sie war die kleinste des einstigen Dreiergeläuts. Die beiden größeren Glocken hatte man im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen. Lediglich eine kleine Glocke, den sog. ’’Suppenseier’’ von der ehemaligen Gottesackerkirche ’’Zum Heiligen Kreuz’’ im Botanischen Garten, hatte man ihr nach dem 1. Weltkrieg beigegeben. Während viele davon keine Kenntnis mehr haben werden, ist Herr Konrad Reinecke dagegen stadtbekannt, der letzte Läuter an der Oberkirche. Er versah diesen Dienst bereits im Jahre 1957 und wohnte auch bis 1984 in dem Oberkirchläuterhaus gegenüber der Kirche. In diesem Jahr wurden der Turm und das Kirchgebäude baupolizeilich gesperrt, so dass sich das Läuten ohnehin verbot.
Wenn auch das alte Oberkirchläuterhaus inzwischen abgerissen und durch privat ein neues schmuckes Haus errichtet worden ist, so bietet ein Rückblick auf die Geschichte des alten Hauses und seine damaligen Bewohner viel Interessantes. Vorausgeschickt sei, dass seinerzeit die Immobilie städtischer Besitz war und der Läuter ein städtischer Angestellter. Seit alten Zeiten waren die Dienste Zeitansage und Sturmläuten bei Feuer und Kriegsgefahr Pflicht und Aufgabe der städtischen Behörde. Wie viel wurde nicht über den Nachtwächter vergangener Zeiten erzählt, der mit seinem Rufe: ’’Hört, ihr Leute, lasst euch sagen ... ’’ den früheren Stadtbürgern ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln sollte.
An der Oberkirche wurde allerdings im Jahre 1881 dem Läuter der Dienst des Stundenanschlagens abgenommen durch den Einbau einer Turmuhr mit zwei Zifferblättern. Man zeigte die Zeit nur in Richtung des damals bebauten Stadtgrundes an. Eine Spendensammlung, initiiert durch den Förderverein Oberkirche e. V., ermöglichte es, dass am 9. Juni 2001 ein neues elektronisches Uhrwerk eingebaut und die Zifferblätter erneuert werden konnten.
Worin jedoch die Aufgaben des Läuters bestanden und welche persönlichen Voraussetzungen er dafür erbringen musste, geht aus einer ’’Instruction für den Läuter im Oberkirchläuthaus, anno 1833’’ hervor. Dort heißt es unter anderem:
’’Soll er sich eines christlichen und guten Lebenswandels befleißigen, dem Kirchen-Ministerio sowie dem Stadtrath unterthänig, treu, hold und gehorsam sein und den getroffenen Anordnungen willig und pünktlich Folge leisten.
Auf die Kirche und alles was dazu gehört, soll er ein wachsames Auge haben, und Alles, was derselben auf die oder jene Art nur einigermaßen nachtheilig sein und werden könnte, beseitigen und abwenden, auf Thüren und Fenster sehen, daß sie gehörig verwahrt und zugemacht sind, damit durch das auf und zuschlagen kein Schade entstehe.
Soll er vorgefallene Defecte oder Schäden falls sie nicht seiner eigenen Reparatur und Abstellung obliegen, zeitig beim Stadtrathe anzeigen, damit sie alsbald abgestellt, und größere dadurch vermieden werden.
Bei den, Gott verhüte! Vorfallenden Feuer-Unglücks-Fällen in hiesiger Stadt hat er unverzüglich das Stürmen zu besorgen.’’
Außer einem recht schmalen Entgelt wurde er mit einer Dienstwohnung entlohnt:
’’Da ihm hiernächst bei Übertragung dieses Dienstes das Oberläuthaus zur Bewohnung und Benutzung überlaßen wird, soll er solches als ein ordentlicher Hausvater benutzen, ohne Vorwissen des Stadtrathes nicht verlassen und in eine andere Wohnung ziehen, auf Feuer und Licht ein wachsames Auge haben, und allem, was dem Hause auch nur entfernt zum Schaden gereichen könnte, zu vermeiden suchen, Defecte von einigem Belange zeitig dem Stadtrathe zur Abstellung anzeigen, dargegen aber kleine Reparaturen und Ausbesserungen, z. B. Weißen und Reinigen des Hauses und der Stuben, das Reinigen und Schwärzen der Öfen, welches mehrmals im Jahr vorzunehmen ist, mehreren kleinen Defecten nicht zu gedenken, aus eigenen Mitteln, und ohne dieserhalb eine Entschädigung zu verlangen, Selbst und in Zeit besorgen, damit kleinere Defecte nicht zu größeren, welche die Stifts-Administration zu besorgen hat, gelangen.
Das bei diesem Oberläuthause befindliche und hier angeschriebene Inventarium in guten Stande zu erhalten, auch die während seiner Benutzung dieses Hauses zerbrochenen Fensterscheiben insofern sie nicht durch Ungewitter oder ähnlichen Unglücksfällen zerschlagen werden, auf seine Kosten repariren zu laßen.’’
Von der gezahlten Entlohnung allein konnten bis in die letzte Zeit die Läuter ihren Unterhalt nicht fristen, sie hatten alle noch eine andere Tätigkeit.
’’Als Dienst Emolument erhält er aus der Stifts-Administration vierteljährlich Dreizehn Groschen 4 Pfennige und hat weiter keine Ansprüche an derselben zu machen.’’
Der wie nachstehend eingestellte Friedrich Zachariae war als Salzarbeiter beschäftigt.
’’Acta: Die Annahme des Salzarbeiters Friedr. Zachariae zur Verkündigung der Stunden durch einen an der Glocke auf dem Oberkirchthurme angebrachten eisernen Hammer, anno 1835
Frankenhausen, den 26. Juni 1835; Beym heutigen Gesammt Stadtrathe, wurde der Salzarbeiter Friedrich Zachariä, welchem schon unterm 5. Juni d. J. das Anzeigen der Stundenzahl mittelst Ziehen des Drahtes zu dem diesem Dienste angenommen und bestellt, unter folgenden Bedingungen:
Zachariä ist schuldig und verbunden, nicht nur bey Tage als auch des Nachts die Stunden Zahl mittelst Ziehung des Hammers richtig anzuzeigen;
auch in vorfallenden, Gott aber verhüte, sich ereignenden Feuer Unglücksfällen ist er schuldig mit dem Hammer zu stürmen.
Behält sich der Stadtrath ausdrücklich vor den Dienst nach seinem Gefallen hinwiederum zu jederzeit zurückzunehmen, und wird darzu eine halbjährliche Dienstkündigung beyder Theile gesetzt, es wäre denn, daß Zachariä sich saumseelig in seinem Dienste erzeigte, für welchen Fall die Stadt an diese Dienstkündigung nicht gebunden seyn soll und will, und Zachariä sofort dimittieren kann.’’
Nachdem Zachariä mit Handschlag versichert hat, dass er allen im Protokoll enthaltenen Paragraphen pünktlich nachkommen will, unterschreibt er persönlich, was von dem Syndicus Heinrich Anton Klipschm ‘’recognosivirt’’ wird.
Aus dieser Spezifikation der Arbeitsaufgaben erhellt sich auch die Aussage des Oberkirchläuters Alfred Kaps gegenüber seiner Enkelin, dass vor seiner Zeit (er war ca. von 1905 bis 1957 im Dienst) ein Draht vom Turm in das Obergeschoss des Läuterhauses gezogen war. Das hatte sie seinerzeit dem alten Manne nicht glauben wollen.
Eine Vorstellung, wie es in diesem alten Hause ausgesehen haben muss, vermittelt eine ’’Specification über das Inventarium des Oberläuthauses’’, heute würden wir das als einen Mietvertrag bezeichnen.
’’1. Hausthür mit Schloß und Schlüßel
2. Die unterste Stube, Stubenthür mit Schloß und Schlüßel und 2 Spiegelscheibenfenster, einen eisernen Unterofen mit einem blechernen Liethe, der Oberofen von Ofenkacheln
3. Eine Stubenkammer mit einer Thüre, mit einem Klinkschloß und ein Spiegelscheiben-Fenster
4. Eine Saalthüre mit einer Klinke, eine Kellerthür ohne Schloß
5. Auf dem Saale ein Kamin mit Thüre und Klinke, und ein Spiegelscheibenfenster, eine Bodenthüre ohne Schloß
6. Oberstubenthür mit Schloß und Schlüßel, zwei Spiegelscheiben-Fenster, einen eisernen Unterofen mit blechernen Liethe, der Oberofen von Ofentafeln und Röhrenlieth
Stubenkammer mit Thuer und Schloß mit Schlüßel und ein Spiegelscheibenfenster
7. Auf dem Boden eine Kammer mit Thüre und ohne Schloß, eine Blechkiste an der Feuermauer, ein Bodenfenster und Boden-Loch mit einem Lieth
9. Im Hofe ein Abtritt mit Thuere ohne Schloß
9. Eine Hauslaterne’’
Herr Konrad Reinecke, der spätere Bewohner ergänzte dies noch durch die Beschreibung, dass man durch einen sog. ’’Kellerhals’’ in den im anschließenden Berg befindlichen Keller gelangen konnte.
Dass die Tätigkeit als Läuter, Bälgetreter und Kalfakter, wie man sie bezeichnete, durchaus nicht ohne Kraftaufwand zu betreiben war und nicht von dem Oberkirchläuter allein zu bewältigen war, erfährt man aus einer Akte über die Dienstverhältnisse dieses Personenkreises. Der 1866 eingestellte Oberkirchläuter Friedrich Bock beantragte darin z. B. einen finanziellen Zuschlag für die anstrengende Bälgetreterei an der neuen großen Orgel. Auch das Glockenläuten war nicht ganz ohne. So verfielen manches Mal die Läuter auf den Trick, die Glocke nur einseitig anzuschlagen, was einen schlechten Klang ergab und Beschwerden einbrachte.
Über die nachfolgenden Läuter konnte die Autorin nur mündlich erfahren, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Robert Schmutzler mit Familie in dem Oberläuterhaus lebte und ihm sein Schwiegersohn Albert Kaps im Amte nachfolgte. Außer Herrn Reinecke hat, solange seine Kräfte reichten, Herr Herrmann Erhard geläutet und in und um die Kirche nach dem Rechten gesehen.
Ingrid Mansel 2007
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